23. Mai 2025
Laufbahnberatung und der Schatz der Gestalttherapie
Viele Berater*innen beschreiben es ähnlich: Da sitzt ein Mensch vor mir – manchmal voller Tatendrang, oft aber auch erschöpft, suchend, verunsichert. Er oder sie steht an einem beruflichen Wendepunkt. Irgendetwas passt nicht mehr, aber was genau gebraucht wird, ist noch nicht klar. In solchen Momenten ist Laufbahnberatung weit mehr als das Planen von Karriereschritten oder das Erstellen von Bewerbungsunterlagen. Sie ist Begleitung an einer inneren Grenze.
Genau hier wird ein zentraler Ansatz der Gestalttherapie relevant – der sogenannte Kontaktzyklus.
Der Kontaktzyklus: Orientierung im Beratungsprozess
Der Kontaktzyklus, entwickelt von Fritz Perls u. a. (Perls, Hefferline & Goodman. 1951), beschreibt einen natürlichen Prozess, wie Menschen in Kontakt mit sich selbst und ihrer Umwelt treten, um ein Bedürfnis zu erkennen, zu handeln und Erfahrungen zu integrieren. Diese Dynamik besteht aus sieben Phasen: von einem ersten vagen Unbehagen, über das Erkennen eines Bedürfnisses und der Aktivierung von Energie, bis hin zum bewussten Handeln, Erleben, Rückzug und Integration.
In der Laufbahnberatung zeigt sich dieser Zyklus sehr deutlich – und ebenso die Punkte, an denen er ins Stocken geraten kann. Manche Klient*innen spüren nur, „dass es so nicht mehr weitergeht“, finden aber keinen Zugang zum dahinterliegenden Wunsch. Andere sind voller Energie, wissen aber nicht, wohin sie sich wenden sollen. Wieder andere haben bereits konkrete Pläne, kommen aber nicht ins Handeln.
Für Berater*innen ist der Kontaktzyklus eine wertvolle Landkarte. Er hilft, die innere Bewegung von Ratsuchenden zu erfassen – nicht nur auf der kognitiven, sondern auch auf der emotionalen und körperlichen Ebene.
„Wachstum geschieht an der Grenze“ – Wenn Laufbahnberatung mehr ist, als ein Plan
Lore Perls prägte den Satz: „Wachstum geschieht an der Grenze.“ (Perls, Lore. 1989). In der Gestalttherapie meint das die Grenze zwischen Organismus und Umwelt, zwischen Ich und Du – der Punkt, an dem Begegnung geschieht. Übertragen auf die Laufbahnberatung ist es genau jener Moment, in dem ein Mensch sich der beruflichen Veränderung stellt: dem Unbekannten, dem Neuen, dem Risiko – aber auch der Chance.
Hier liegt das Besondere an Laufbahnberatung: Sie begleitet Menschen nicht nur bei äußeren Entscheidungen, sondern bei inneren Übergängen. Sie hält den Raum, in dem Unsicherheit ausgehalten und neue Perspektiven entwickelt werden können. Sie unterstützt darin, mit sich selbst in Kontakt zu kommen – mit Wünschen, Ängsten, Widersprüchen – und auf dieser Grundlage tragfähige Entscheidungen zu treffen.
Berater*innen sind in diesem Prozess nicht Expert*innen für den besten Berufsweg, sondern Prozessbegleiter*innen für persönliche Entwicklung. Mit der Haltung der Gestalttherapie – präsent, wertschätzend, dialogisch – können sie genau das leisten: einen Erfahrungsraum schaffen, in dem Veränderung nicht gemacht, sondern ermöglicht wird.
Gerade die Laufbahnberatung nach dem Zürich-Mainzer-Laufbahnberatungsmodell ermöglicht in diesen Situationen ein professionelles Vorgehen, da in ihrem Strukturmodell der ganzheitliche Ansatz verankert ist. Sie erlaubt Beziehungsarbeit, unterstützt die Sinnsuche und wirkt stabilisierend.
Laufbahnberatung schafft Raum für das, was werden will
Der Kontaktzyklus ist mehr als ein Modell – er ist ein Denkwerkzeug für alle, die Menschen in beruflichen Umbruchsituationen begleiten. Er lädt Berater*innen ein, nicht nur auf Lösungen zu fokussieren, sondern auf den Weg dorthin: auf das Erleben, das Zögern, die Fragen – und auf das, was entsteht, wenn jemand sich an eine Grenze heranwagt.
Denn genau dort, wo Unsicherheit beginnt, kann auch Wachstum geschehen.
Angelika Teske-Letzsch
Literaturhinweis:
Perls, F., Hefferline, R., & Goodman, P. (1951): Gestalt Therapy: Excitement and Growth in the Human Personality. Julian Press.
Perls, Lore (1989): Erleben in der Gestalttherapie. EHP Verlag.